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Joachim Krause
Hauptstr. 46
08393 Schönberg
Tel 03764-3140, Fax 03764-796761
E-Mail: Krause.Schoenberg@t-online.de
Schönberg, den 3. April 2002
 

Wie hilfreich ist das Embryonenschutzgesetz in der Diskussion um Embryonen, Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik?

© Joachim Krause 2002

In den letzten Monaten ging es in der öffentlichen Debatte um den Status und das Schicksal menschlicher Embryonen. Dabei ist öfter auf das deutsche Embryonenschutzgesetz (EschG) von 1990 Bezug genommen worden. Das Gesetz habe sich in den elf Jahren seiner Geltung bewährt und richte mit seinen klaren und engen Regelungen einen festen Damm auf gegen alle Infragestellungen des Embryos durch fremdnützige Interessen. Die dort festgelegten Standards müssten auf jeden Fall gewahrt bleiben. Das EschG dürfe nicht zur Disposition gestellt werden.
Aber gerade durch die detailbezogene Diskussion sind auch erhebliche Schwachstellen des ESchG deutlich geworden.

1. Die im EschG vorgenommene Definition des Begriffes „Embryo“ ist umstritten und nicht umfassend genug.
Das EschG legt fest (§8): „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt...die befruchtete ... Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an...“ Diese Festlegung auf einen sehr frühen Zeitpunkt stellt eine juristisch getroffene Definition dar und ist damit „will-kürlich“. Der Begriff „Embryo“ wird hier in einer Weise verwendet, der dem Gebrauch in den Fachwissenschaften, in der Medizin und Biologie, weithin fremd ist. In vielen deutschsprachigen naturwissenschaftlichen Lexika und Internet-Texten, aber auch in Standardwerken wie dem dreibändigen „Lexikon der Bioethik“ (Gütersloh 2000) wird auch elf Jahre nach Inkrafttreten des EschG diese Definition faktisch ignoriert: Dort spricht man weiterhin in den ersten 14 Tagen - von der Befruchtung der Eizelle bis zur Einnistung in die Gebärmutter und der Ausbildung des Primitivstreifens - von der Furchungsphase oder Präembryonalphase, und erst ab der dritten Woche nach der Befruchtung wird der Keimling als Embryo bezeichnet.
Zudem erweist sich die im EschG vorgenommene Definition als nicht (mehr) ausreichend: Sie geht allein vom Zustandekommen eines Embryos durch Verschmelzen von Ei- und Samenzelle aus. Embryonen, die auf anderem Wege - zum Beispiel durch Klonen nach der „Dolly-Methode“ – entstanden sind, werden damit bisher nicht erfasst und geschützt.

2. Mit der „Totipotenz“ wird der Embryo anhand einer Eigenschaft definiert, die empirisch nicht geprüft werden kann bzw. darf.
Nach dem EschG (§8) gilt als Embryo auch „...jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich...zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.“
Da aber das EschG einzelne totipotente Zellen (die sich allein zu einem kompletten, „ganzen“ Lebewesen entwickeln zu können) einem Embryo gleichsetzt und unter Schutz stellt, dürfen in Deutschland einzelne Zellen nicht darauf untersucht werden, ob sie diese Eigenschaft besitzen. Man ist also auf die Ergebnisse von Tierversuchen und auf Analogie-Vermutungen für den Menschen angewiesen. Zwar wird derzeit in der Fachwissenschaft weithin die Ansicht vertreten, dass menschliche Embryonen nur bis zum Acht-Zell-Stadium totipotente Zellen enthalten. Aber das kein gesichertes Wissen. Es gibt Vermutungen, dass auch einzelne embryonale Stammzellen aus späteren Entwicklungsstadien noch totipotent sein könnten (was dann konsequenterweise auch ihre Nutzung für Forschungs- und Therapiezwecke in Deutschland verböte). Seit der Verfügbarkeit der „Dolly-Methode“ des Klonens weiß man, dass unter bestimmten Bedingungen im Labor sogar ausgereifte „erwachsene“ Zellkerne in der Umgebung einer Eizelle wieder „reprogrammiert“ und damit totipotent gemacht werden können. Da man auch bei therapeutischen Ansätzen mit „adulten“ Stammzellen eine solche Reprogrammierung in Erwägung zieht, ist auch hier nicht auszuschließen, dass zumindest einzelne Zellen in das Stadium der Totipotenz gelangen. Nach dem EschG käme das einem Forschungsverbot auch mit solchen Zellen gleich!

3. Die Gleichsetzung des „Zeitpunktes der Kernverschmelzung“ mit dem Beginn menschlichen Lebens und die Forderung nach seinem absoluten Schutz von diesem Zeitpunkt an ist nicht schlüssig.
Ob im EschG eine Gleichsetzung von Embryo und Mensch vorgenommen wird, ist vorsichtig zu hinterfragen: In den §§ 5 und 6 wird zwei Mal die Folge „Embryo, Foetus, Mensch“ aufgeführt – sind hier auch Stufen der Mensch-Werdung gemeint?
Warum gilt der absolute Schutz des Embryos nicht schon z.B. für ein Stadium wenige Stunden vor der Kernverschmelzung, zu dem die Samenzelle bereits in die Eizelle eingedrungen ist und damit die Zusammensetzung der Erbanlagen für den potenziellen Embryo schon eindeutig festliegt?
Dass der Gesetzgeber im §218 des Strafgesetzbuches ausdrücklich Methoden der Schwangerschaftsverhütung zulässt, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, könnte ebenfalls im Sinne eines abgestuften Lebensschutzes gedeutet werden.
Und auch der politisch mühsam ausbalancierte Kompromiss des §218, dass bei Vorliegen bestimmter Rahmenbedingungen der Abbruch einer Schwangerschaft straffrei bleibt, zeigt eine weitere Lücke im absoluten Lebensschutz. Hier ist zusätzlich zu fragen, ob mit der noch einmal strenger gefassten Verbotsregelung nach dem dritten Monat eine weitere Abstufung im Lebensschutz vorliegt.

4. Das EschG lässt eine Selektion und Verwerfung von Samenzellen zu, die die Veranlagung für eine Erbkrankheit in sich tragen.
Um die Vererbung „schwerwiegender geschlechtsgebundener Erbkrankheiten“ zu vermeiden und „das Kind vor einer Erkrankung ... zu bewahren“, ist die „Auswahl“ geeigneter Samenzellen bei der künstlichen Befruchtung zulässig (§3). Als Beispiel wird ausdrücklich die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne benannt, „zuständige Stellen“ können weitere Erkrankungen als „entsprechend schwerwiegend“ anerkennen.
Neuerdings wird auch - als Alternative zu der in Deutschland verbotenen Präimplantationsdiagnostik an Zellen eines Embryos – die Untersuchung der so genannten Polkörperchen erwogen. Diese sind zusammen mit der Eizelle entstanden und in deren Hülle eingelagert. Sie können (zu einem Zeitpunkt, wenn bereits eine Samenzelle in die Eizelle eingedrungen ist, aber die Kerne noch nicht verschmolzen sind) auf das Vorliegen von Chromosomenstörungen oder Erbkrankheiten getestet werden.
Beide Untersuchungsmethoden sind nach dem Wortlaut des EschG zulässig. Aber wird hier nicht - wenn auch vor der Existenz eines Embryos - eine Selektion von menschlichem Erbgut zugelassen mit dem Ziel, das Auftreten schwerwiegender Erbkrankheiten in der nächsten Generation zu verhindern? Grundsätzlich besteht darin eben doch eine Parallele zum Ansatz der Präimplantationsdiagnostik, in der lediglich etwas später, nämlich nach einer „Befruchtung auf Probe“, das Erbgut eines Embryos auf das Vorliegen einer schwerwiegenden Erbkrankheit geprüft und danach eine Auswahl vorgenommen wird.

5. Das EschG verbietet die Leihmutterschaft.
Es schließt damit aber auch die „Adoption von überzähligen Embryonen“ als Alternative zu ihrem Absterben-Lassen aus.

6. Das EschG lässt die Einpflanzung von gleichzeitig bis zu drei Embryonen zu.
Dennoch (oder gerade deswegen) kommt es nach Befruchtungen im Reagenzglas häufig zu Mehrlingsschwangerschaften, die für Mutter und Kinder gefährlich sein können. Eine medizinische Möglichkeit zur Beseitigung dieses „Problems“ ist die gezielte „Mehrlingsreduktion“, die Abtötung einzelner „überzähliger“ Foeten im Mutterleib - geduldet, stillschweigend akzeptiert, aber rechtlich nicht geregelt.

Ich meine, das EschG darf und muss gerade angesichts solcher aktueller Fragestellungen neu diskutiert und wo nötig auch präzisiert oder verändert werden.

Joachim Krause