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„VELKD Informationen“ Nr. 103 vom 9. Dezember 2002

Bischöfe zu Fragen der Zeit

Präimplantationsdiagnostik nicht anwenden

Der medizinische Fortschritt macht es erforderlich, auch die Zulässigkeit der In-vitro-Fertilisation noch einmal zu überdenken

Von Johannes Friedrich

Es war eine erhebende Sache, als wir uns im Studium mit den wunderbaren Möglichkeiten moderner Medizin auseinander setzten: Es sollte möglich werden, dass Paare, die auf dem herkömmlichen Weg kein Kind bekommen konnten, nun dennoch unter bestimmten Voraussetzungen Eltern eines leiblichen Kindes werden. Die Durchführung einer künstlichen Befruchtung außerhalb des Mutterleibes, also die In-vitro-Fertilisation (IVF), war Ursache dieses kleinen medizinischen Wunders.

Wunderbare neue Welt – wir verstanden überhaupt nicht, wie engstirnige Moralethiker dagegen etwas haben konnten. Die In-vitro-Fertilisation wurde von uns gebilligt.

Heute, dreißig Jahre später, gilt die ethische Entscheidung von damals immer noch. Aber wir haben nun mit gravierenden Folgeproblemen zu kämpfen. Im vergangenen Jahr ist über eines dieser Folgeprobleme, über das ausgiebig und höchst kontrovers diskutiert wurde, bereits eine Entscheidung des Bundestags herbeigeführt worden. Umstritten war (und ist), ob die so genannten „überzähligen Embryonen“, die bei einer künstlichen Befruchtung vielfach entstehen, der Stammzellforschung zur Verfügung gestellt werden dürften. Ich habe mich hier für ein klares Nein ausgesprochen, wenngleich der Bundestag sich in diesem Punkt zu einem vorsichtigen „Nein-Aber“ durchgerungen hat.

In diesem Beitrag will ich mich mit einem weiteren „Folgeproblem“ der IVF auseinandersetzen. Die fortschreitende medizinische Entwicklung macht es inzwischen möglich, künstlich befruchtete Eizellen vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib auf bestimmte, genetische Merkmale hin zu untersuchen, also eine Präimplantationsdiagnostik (PID) durchzuführen. Damit stehen wir vor der Frage, ob diese Technik, die in anderen Ländern bereits zugelassen ist und dort praktiziert wird, auch in Deutschland erlaubt werden soll.

Nicht jede Befruchtung gelingt. Darum dürfen in Deutschland bis zu drei Eier entnommen und befruchtet werden. Wenn die Befruchtung mehrerer Eier gelingt, der Frau davon aber nur eines eingepflanzt wird, bleiben befruchtete Eizellen übrig. Die Tatsache, dass zur Durchführung einer IVF die Erzeugung mehrerer Embryonen nötig und zu diesem Zweck auch rechtlich erlaubt ist, führt zu der weiteren Überlegung, dass aus diesen bereits erzeugten befruchteten Eizellen nur solche eingepflanzt werden könnten, bei denen bestimmte genetische Abweichungen nach vorheriger Untersuchung mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sind.

Ich spreche mich gegen die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik aus, weil dabei Embryonen, die ein behindertes Kind erwarten lassen, getötet werden. Ich gehe davon aus, dass für die ethische Beurteilung menschliches Leben mit der Befruchtung der weiblichen Eizelle durch eine männliche Samenzelle beginnt.

Die juristische Beurteilung dieser Frage in unserem Land ist bisher nicht eindeutig. In GG Art. 2 Abs. 2 wird Leben als selbstständiges Rechtsgut geschützt. Der BVG-Entscheid von 1993 lässt die Frage nach dem genauen Beginn der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens zwar offen. Aber: „Nach überwiegender Auffassung beginnt die Grundrechtsberechtigung bereits mit der Befruchtung der Eizelle ... und kommt auch dem extrakorporal gezeugten Leben zugute.“ (Jarras, Pieroth Kommentar zum GG 1995, 3. Aufl), 74f).

Manche Ethiker vertreten die Ansicht, dass menschliches Leben erst dann beginnt, wenn die Beziehung zwischen Mutter und Kind auch biologisch eindeutig vorhanden ist – also mit der Nidation, der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter, die etwa mit dem 14. Tag nach der Empfängnis abgeschlossen ist.

Dagegen wende ich ein, dass mit der IVF ein willentlicher Prozess mit dem Ziel der Entstehung eines Kindes initiiert wurde und deswegen – anders als bei der natürlichen Zeugung – der „Gegenstand“ des Prozesses, die befruchtete Eizelle, von Anfang an in einem bewussten relationalen Verhältnis zu den Eltern steht. Der Embryo ist damit eindeutig gewünscht und kann nicht einfach wieder weggewünscht werden.

Ich bin gemeinsam mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Synode meiner Landeskirche und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) der Ansicht, dass dem werdenden Leben schon in frühester Phase Würde und der vollständige mit der Menschenwürde verbundene Rechtschutz zukommt, weil hier ein Mensch bereits vollständig angelegt ist. Diese Würde wird nicht von Menschen zugesprochen, sie ist dem Menschen von Gott zugeeignet. Dies hat seine theologische Begründung in der Rede von der Gottebenbildlichkeit (1. Mose 1,28) und in der Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders (Römer 3,21ff): Der Mensch ist in theologischer Hinsicht eben nicht vorrangig ein biologisches Wesen, sondern definiert sein Menschsein im Gegenüber zu Gott. Deshalb lehnen wir alle Praktiken ab, die den Embryo als ein beliebig manipulierbares Objekt behandeln.

Unabhängig davon, zu welchen Ergebnissen biologisch-physiologische Erkenntnisse heute oder später einmal kommen werden, unabhängig davon, wie umstritten es auch juristisch gegenwärtig noch ist, wann menschliches Leben bzw. dessen volle Schutzwürdigkeit beginnt: Meiner Ansicht nach muss es ab dem frühest denkbaren Zeitpunkt geschützt werden. Gerade wenn für manche der Anfang eines menschlichen Individuums unbestimmt ist, sollte Embryonen vorgreifend und vorsorglich Personsein zugesprochen bzw. ein für Personen geltender Rechtsschutz zuerkannt werden.

Manche Befürworter der Zulassung einer PID in engen Grenzen führen an, dass man menschenunwürdige Genmanipulation und Selektion ja durchaus ausschließen könne, ohne die PID ganz untersagen zu müssen. Ich bezweifle aber, dass die Einhaltung eng definierter Grenzen in der Praxis auch tatsächlich durchsetzbar ist. Wie sollte man das zuverlässig kontrollieren? Es gibt sicher viele Ärzte, die verantwortungsvoll mit solchen Regelungen umgehen würden, aber wir müssen eben leider davon ausgehen, dass es womöglich auch andere gibt.

Nach Professor Wolfgang Frühwald, dem früheren Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), ist Menschenzucht zwar nicht die direkte Absicht dieses Zweiges der Reproduktionsforschung, liegt aber in der Tendenz der Entwicklung. Jürgen Habermas sieht in der PID ebenfalls eine Gefahr, die sich seiner Meinung nach mit der Perspektive der Menschenzucht verbindet: Zusammen mit der Kontingenz der Verschmelzung von zwei Chromosomensätzen verliert der Generationenzusammenhang seine Naturwüchsigkeit. Die immer schon vorhandene Tendenz zur Naturbeherrschung schlägt nun um in einen Akt der Selbstbemächtigung, die unser gesamtes gattungsethisches Selbstverständnis verändert.

Das Diskussionspapier der Bundesärztekammer hat all diese Befürchtungen einer schleichenden Ausweitung der ursprünglichen Intention aufgenommen, in dem der vorgeschlagene Katalog für Zulassung der PID auf wenige Krankheiten beschränkt wurde. Das stellt allerdings vor die weitere, große Schwierigkeit, damit von vorne herein bestimmte Behinderungen oder Erkrankungen benennen zu müssen, die als zumutbar, andere aber als für die potenziellen Eltern als nicht erträglich gelten. Auch das halte ich für höchst problematisch.

Ein oft vorgebrachtes Argument für die Zulassung von PID lautet, dass der Embryo innerhalb des Mutterleibes durch die in bestimmten Fällen rechtlich straffreie Möglichkeit der Abtreibung auch nicht absolut geschützt sei. Wenngleich die Argumentation beim Paragraphen 218 anders lautet als bei der diskutierten Zulassung der PID, kann ich dieses Argument nicht vollständig von der Hand weisen. Darum bin ich auch gegen einen unbeschränkten Einsatz der Pränataldiagnostik (PND), die vielfach Voraussetzung für einen Schwangerschaftsabbruch ist. Dringend nötig ist meiner Meinung nach eine stark verbesserte Beratungspraxis, insbesondere was Spätabbrüche betrifft. Solche Beratung wird bislang kaum nachgefragt. Die Einführung einer umfassenden gesetzlichen Aufklärungs- und Beratungspflicht bei allen pränatalen und präimplantativen Diagnostiken ist für mich unumgänglich. Die vom Bund geplanten Neonatal-Zentren mit verpflichtender interdisziplinärer Beratung sind deshalb zu begrüßen. Die derzeit vorherrschende Praxis bei Spätabbrüchen, die auch eine Folge der medizinischen Indikation darstellt und die nicht einmal die verpflichtende Beratung vor dem Abbruch vorsieht, kann so jedenfalls nicht länger hingenommen werden.

Eltern, die sich Kinder wünschen, brauchen das Verständnis der Kirche. Schon das Alte Testament zeigt, auf welche Ideen Menschen gekommen sind, um den erwünschten Nachwuchs zu bekommen (Sara und Hagar!). Von daher ist es verständlich, dass die evangelische Kirche die Praxis der IVF bislang gebilligt hat. Dennoch will ich es nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass es auch andere Möglichkeiten der Erfüllung des Kinderwunsches gibt als durch IVF – zum Beispiel durch Adoption. Jedenfalls bin ich heute der Ansicht, dass die Zulässigkeit der IVF, die die Voraussetzung für PID darstellt, in Anbetracht der dadurch inzwischen aufgetretenen Folgeprobleme durchaus nochmals überdacht werden könnte. Auch der heutige Präsident der DFG, Professor Ernst-Ludwig Winnacker, hat die IVF als erstmalige Überschreitung des Rubikons in Sachen Embryonenforschung benannt.

Behinderte, kleine Menschen brauchen ein herzliches Willkommen durch unsere Gesellschaft. Als Kirche dürfen wir nicht aufhören, uns für dieses herzliche Willkommen von Menschen mit Behinderungen einzusetzen.

Der Autor, Dr. Johannes Friedrich (München), ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.