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EKD-Synode November 2002 "Was ist der Mensch?"
Beitrag von Bundesministerin Bulmahn
 

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

"REGIERUNGonline" - Wissen aus ersten Hand

Bulletin
Evangelische Kirche in Deutschland
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, zur Eröffnung der siebten Tagung der neunten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland am 3. November 2002 in Timmendorfer Strand:
Veröffentlicht am: 04.11.2002
 

Sehr geehrter Herr Präses,
Frau Ministerin, liebe Kollegin,
Herr Bürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

I.

ich freue mich sehr, dass ich heute zur Eröffnung Ihrer diesjährigen Synodaltagung wieder bei Ihnen sein kann. Ich erinnere mich gerne daran, dass ich bereits vor vier Jahren, damals zu Beginn der rot-grünen Regierungskoalition, die Gelegenheit hatte, an der Eröffnung einer Tagung der EKD-Synode in Münster teilzunehmen.

Gleich zu Beginn möchte ich Ihnen allen herzliche Grüße des Bundeskanzlers übermitteln. Gerhard Schröder bedauert es sehr, Ihrer Einladung nicht persönlich folgen zu können. Er wünscht Ihnen ein an Denkanstößen und guten Ergebnissen reiches Arbeitstreffen.

Mit dem Schwerpunktthema "Was ist der Mensch?" haben Sie auch dieses Jahr wieder eine grundsätzliche Fragestellung von hoher Aktualität aufgegriffen. "Was ist der Mensch?" - diese Frage steht auch im Zentrum der Debatte über die Fortschritte in den Lebenswissenschaften, im Zentrum einer Diskussion, die die Menschen nicht nur in unserem Land tief bewegt.

Die weitreichenden Fortschritte auf den Gebieten der Biomedizin, der Gentechnik und der Genomforschung vermitteln uns ein neues und tieferes Verständnis über die Ursachen und Abläufe vieler biologischer Prozesse.

Sie verbessern damit nicht nur die Basis für die Entwicklung von präventiven und diagnostischen Verfahren, von Arzneimitteln und Therapien, sondern erschließen uns darüber hinaus neuartige Anwendungen in den Bereichen Ernährung und Umwelt.

Zugleich aber werfen die Fortschritte der lebenswissenschaftlichen Forschung fundamentale ethische, rechtliche und soziale Fragen auf. Fragen, die das Selbstverständnis der Menschen berühren. Fragen, auf die im Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Kirche und Gesellschaft eine Antwort gefunden werden muss.

So unverrückbar die Menschenwürde als Grundprinzip in unserer Verfassung verankert ist, so vielfältig sind dabei die Interpretationen ihres Bedeutungsgehaltes.

Eine einfache und gleichzeitig komplexe Antwort auf Ihre Frage "Was ist der Mensch" lautet: Der Mensch ist viel mehr als die Summe seiner Gene. Er kann sich selbst und andere erkennen, er ist ein vernunftbegabtes Wesen, das zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Der Mensch mit seiner Fähigkeit, den Nächsten zu lieben, mitzufühlen, ein Gewissen zu haben und ihm auch bewusst zu folgen, ist eben viel mehr als ein bloßes biologisches Konstrukt.

In Ihrem Kundgebungsentwurf beschreiben Sie dieses so: "Der Mensch ist in seinen Stärken und Schwächen, im Gelingen und Scheitern, im Widerspruch und im Gehorsam durch Gottes bedingungslose Liebe mit Würde ausgezeichnet, die nichts und niemand ihm nehmen kann".

Für die Bundesregierung war es deshalb von Anfang an wichtig, dass diese Diskussion über wissenschaftliche Möglichkeiten und Chancen der modernen Biomedizin nicht als eine bloße biologische oder juristische Diskussion geführt wird, sondern als eine Diskussion, in der die ethischen und gesellschaftspolitischen Aspekte eine wesentliche Rolle spielen.

So richtig und wichtig es ist, dass sich Parlament und Regierung durch die Enquête-Kommission und den Nationalen Ethikrat beraten lassen, so wichtig es ist, dass die Arbeiten in Universitäten und Forschungseinrichtungen durch Kommissionen begleitet werden, so wichtig ist es auch, diese Diskussion aus den Fachzirkeln heraus in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die Bundesregierung hat hier eine aktive Rolle übernommen und den notwendigen Dialog über die Chancen und Gefahren von Biomedizin und Gentechnik auf allen Ebenen gefördert. Mit dem "Jahr der Lebenswissenschaften" ist uns dies in 2001 gelungen. Über eine halbe Million Menschen haben die Veranstaltungen besucht.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat der bioethischen Diskussion mit wichtigen Beiträgen zu aktuellen und grundsätzlichen Fragen immer wieder wertvolle Impulse verliehen. Dafür möchte ich Ihnen heute im Namen der gesamten Bundesregierung und auch persönlich von ganzem Herzen danken.

II.

Die Bundesregierung hat sich klar zur Förderung der Bio- und Gentechnologie bekannt. Wir wollen die bestehenden Innovationspotenziale zur Entfaltung bringen, verantwortungsbewusst weiterentwickeln. Wir wollen die ökonomischen, die gesellschaftlichen und medizinischen Chancen dieser Zukunftstechnologie für die Menschen und die Entwicklung unseres Landes nutzen.

Zugleich kommt es uns auch in der neuen Legislaturperiode ganz entscheidend darauf an, die Verständigung über ethische, rechtliche und soziale Fragen zu erreichen und den Umgang mit den Ergebnissen der Genforschung und den Folgen ihrer Anwendung verantwortungsbewusst zu gestalten.

Bei allen Entscheidungen, die wir dazu treffen werden, gilt, dass der Schutz des Lebens und die Menschenwürde, dass der Wertekanon unserer Verfassung absoluten Vorrang haben. Auch die im Grundgesetz verankerte Forschungsfreiheit findet hier ihre Grenzen. Die Forschung muss sich daran messen lassen. Das unterstreiche ich - gerade als Forschungsministerin. Hier Menschenrechte, dort Forschungsfreiheit - dieser Gegensatz wäre schon im Ansatz falsch gedacht.

Als vernunftbegabte Wesen haben wir die Chance, abgewogene, den Menschen gerecht werdende Entscheidungen zu treffen. Auch deshalb halte ich die Eilfertigkeit, mit der gelegentlich der Schutz der Menschenwürde gegen die Freiheit von Wissenschaft und Forschung in Stellung gebracht wird, für wirklichkeitsverzerrend und wenig hilfreich. Mit einem einfachen Schwarz-Weiß-Raster kommen wir hier nicht weiter. Wir müssen genau abwägen und auch eine Wertentscheidung treffen.

Kranke Menschen erwarten zu Recht, dass wir alles ethisch Vertretbare tun, um ihnen zu helfen. Unsere politische Verantwortung, die Würde des Menschen zu schützen, umfasst also auch eine Pflicht gegenüber diesen Menschen. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen Wege eröffnen, damit sie am medizinischen Fortschritt teilhaben können.

Deshalb geht es in der Diskussion auch nicht um einen Gegensatz zwischen ethischem und unethischem Handeln, sondern darum, dass wir gemeinsam einen Weg finden, wie die Erkenntnisse der modernen biologischen Forschung menschenwürdig genutzt werden können!

III.

Das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Stammzellgesetz zeigt, dass verantwortungsbewusste Politik auch in ethischen Grenzfragen zu einer Lösung kommen kann, die gegenläufige moralische Bewertungen und unterschiedliche Auffassungen respektiert. Das Stammzellgesetz verbietet grundsätzlich den Import und die Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken, um so einem Verbrauch weiterer Embryonen zur Gewinnung dieser Stammzellen entgegenzuwirken.

Die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden, ist nur unter strengen Auflagen erlaubt. Genehmigungen für hochrangige, alternativlose und ethisch vertretbare Forschungsvorhaben werden dabei durch eine interdisziplinär besetzte Ethikkommission erteilt, in der Experten aus der Wissenschaft mit Medizinern und Vertretern der Kirchen zusammenarbeiten. Mit dem Stammzellgesetz haben wir also eine Entscheidung getroffen, die klare ethische Grenzen zieht und dennoch der Forschung den notwendigen Freiraum gibt, den sie braucht, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen.

Niemand kann heute vorhersagen, ob es uns eines Tages wirklich gelingt, mit Hilfe der embryonalen Stammzellen das Wissen zu gewinnen, das wir brauchen, um schwere Krankheiten zu heilen und unnötiges Leiden zu vermeiden. Aber wir haben eine gute Chance dazu. Diese Chance können wir mit dem Stammzellgesetz nutzen - darauf kommt es uns an!

Die Bundesregierung wird auch in der neuen Legislaturperiode die Weiterentwicklung der biomedizinischen Forschung und Anwendung verantwortungsbewusst ausgestalten. Einen Schwerpunkt setzen wir hierbei auf die Schaffung einer sicheren Grundlage für den Umgang mit genetischen Materialien und Daten.

Die Diagnostik mittels gentechnischer Verfahren ist bereits heute in vielen Bereichen der Medizin etablierter Standard. Mit den Fortschritten der molekulargenetischen Analyse und der Entwicklung prädiktiver genetischer Tests werden sich in Zukunft neue Chancen der Früherkennung, Prävention und Heilung von Krankheiten ergeben. Viele Menschen verbinden damit hohe Erwartungen und große Hoffnungen.

Wenn wir diese neuen Möglichkeiten nutzen wollen, müssen wir aber auch sicherstellen, dass sie nicht zum Anlass von Diskriminierung werden können. Dazu gehört, das Recht auf Nichtwissen zu gewährleisten und klare Grenzen für die Weitergabe genetischer Daten an Dritte zu ziehen.

Wir werden deshalb den Umgang mit Methoden und Anwendungen der genetischen Diagnostik in einem Gentestgesetz regeln, das den Chancen des medizinischen Fortschritts Rechnung trägt und zugleich die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zuverlässig schützt.

IV.

Unsere Diskussion über bioethische Fragen ist längst Teil einer internationalen Debatte, die stärker als bisher auch nach internationalen Lösungen verlangt. Nationale Alleingänge sind angesichts der internationalen Verflechtung von Wissenschaft und Politik immer öfter zum Scheitern verurteilt. Nur dort, wo rechtliche Regelungen den internationalen Kontext beachten, werden sie sich auch dauerhaft als wirksame Schutzschranken erweisen. Und nur so sichern wir uns auch die Mitsprache über die Nutzung internationaler Forschungsergebnisse.

Ich werde mich deshalb auch in Zukunft intensiv dafür einsetzen, die in Deutschland beschlossenen Grundsätze zur Bioethik auch auf europäischer und internationaler Ebene zur Geltung zu bringen. Unser Maßstab für einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Möglichkeiten der Biotechnologie bleibt der Mensch. Wir müssen wissen, welches Bild vom Menschen wir haben und wie wir leben wollen. Antworten auf diese Fragen werden wir nur in einem breit angelegten Verständigungsprozess gewinnen. Dafür bitte ich die EKD auch weiterhin um aktive sachkundige Unterstützung!

V.

Sehr geehrter Herr Präses, lieber Jürgen Schmude,

Verantwortungsbewusstsein, Verständigung, Dialog - diese Begriffe prägen Ihr ebenso geradliniges wie besonnenes Wirken in der Öffentlichkeit seit mehr als vier Jahrzehnten. Ob als Abgeordneter des Deutschen Bundestages, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesminister für Bildung und Wissenschaft oder Justizminister im Kabinett von Helmut Schmidt - die Kraft, unterschiedliche Positionen zusammenzuführen, hat Sie auf Ihrem politischen Weg stets verlässlich begleitet.

Diese Kraft und das Vermögen, zur rechten Zeit das rechte Wort zu sagen, sind auch ein Kennzeichen Ihrer 17-jährigen Amtsführung als Präses der EKD-Synode. Dabei hat Ihnen Ihr Engagement für Verständigung, Ihr beharrliches Eintreten für Versöhnung, beispielsweise zwischen Deutschen und Tschechen, auch international höchste Anerkennung eingebracht.

Im kommenden Frühjahr werden Sie Ihr jetziges Amt an einen Nachfolger übergeben. Ich möchte deshalb schon heute die Gelegenheit nutzen, Ihnen für Ihre zahllosen Verdienste im Namen der Bundesregierung herzlich zu danken. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie für die Zukunft von ganzem Herzen Gesundheit und alles Gute!