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Dr. Christian Fraustadt
Dresdner Str. 31, 01778 Geising, Tel. 035056-35005

Kindheitserinnerungen in Wünschendorf
1943 bis 1945

Kurz vor Weihnachten des Jahres 1943 kam ich mit meiner Mutter und meinem 2 1/2 Jahre jüngeren Bruder auf einem Evakuierungstransport von Leipzig nach Wünschendorf zur Familie Arthur Dietzmann, Gut Nr. 6 über Glauchau Land, wie diese Adresse damals postalisch bezeichnet wurde. Ich war damals 8 Jahre und 10 Monate alt und kann mich noch an viele Einzelheiten unserer "Odyssee" von Leipzig hierher aufs Land erinnern. Anlass für die Evakuierung war der schwere anglo-amerikanische Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943, bei dem viele Häuser in der Umgebung unseres Wohnblocks im "Rundling" im Leipziger Süden lichterloh brannten. Unsere Wohnung selbst war teilbeschädigt, infolge der Luftdruckwirkung einer auf der Straße detonierten Sprengbombe. Unsere liebe Mutter hatte nur den einen Gedanken, diesem Inferno so schnell wie möglich zu entkommen: Über Groitzsch, wo wir in einem großen Saal übernachteten, ging es per LKW nach Tettau, wo ebenfalls auf einem Saal, dem Saal des Gasthofes von Albert Höselbarth, ein Lager für die Flüchtlinge eingerichtet wurde. Von hier aus wurden die einzelnen Familien dann den Bauern der nähen Umgebung zugewiesen, wo sie Unterkunft fanden. Unsere Familie Dietzmann gehörte wohl zu den größten landwirtschaftlichen Betrieben. In der ersten Etage des Wohnhauses durften wir ein Zimmer beziehen, eine Kammer, wie man diese Räume im oberen Bereich des Hauses nannte. Wie und wovon uns unsere Mutter ernährte - unser Vater war im Krieg -, ob wir eine staatliche Unterstützung erhielten, kann ich nicht sagen. Ganz gewiss wurden wir auch von Dietzmanns mit Lebensmitteln versorgt, die ihrerseits auf die Hilfe unserer Mutter und auf die bescheidenen Handreichungen und Wegeerledigungen von uns Kindern vertrauen konnten. So stellte sich sehr bald ein recht herzliches Verhältnis ein zwischen uns Städtern und der Familie Dietzmann. Für uns Kinder war die völlig neue Atmosphäre eines Bauernhofes mit Pferden, Kühen, Schweinen, Hühnern, Schafen und Ziegen natürlich faszinierend und hochinteressant. Immer wieder wurden wir zurückgehalten, wenn wir -die Gefahr nicht erkennend - uns zu weit an die Tiere heranwagten oder in der Scheune herumkletterten. Ich höre noch die immer mahnende Stimme der überall sorgsam wachenden Altbäuerin Flora Dietzmann. Ihr Mann, Arthur Dietzmann, verkörperte den Prototyp des durch harte und zielstrebige Arbeit zu Wohlstand gekommenen und sich seines Besitzes und seiner Berufsehre wohlbewussten deutschen Landwirtes. Pflichterfüllung war für ihn oberstes Gebot, und wenn eine Arbeit getan werden musste, so wurden alle Kräfte darauf konzentriert. Er schonte weder sich noch die ständig auf dem Hofe beschäftigten Familienmitglieder, seinen Sohn Heinz, seine Tochter Marianne, sowie Landarbeiter und Tagelöhner. Hier sei ein guter Geist des Hauses Dietzmann ganz ehrenvoll genannt, Frieda Hemmann, die als Tochter von Emil Hemmann aus einem kleinen kinderreichen Haus unweit der Dietzmannschen Wirtschaft stammte. Sie verdiente sich schon als junges Mädchen ihr Brot bei Dietzmanns und hat hier viele Jahrzehnte nicht nur selbst von früh bis spät schwere körperliche Arbeit getan, sondern war mit ihrem aus großem Erfahrungsschatz schöpfendem Rat, mit ihrem großen Engagement für den Betrieb und mit ihrem unmissverständlichen, klaren Wort, auf das jeder im Haus, auch der Chef selber hörte, wesentlich an der Leitung und Führung des Betriebes beteiligt. Wie sehr ihr das Wohl und Wehe "ihres" Betriebes am Herzen lag, dem sie ihr ganzes persönliches Leben hingab und auf Heirat und Gründung einer Familie verzichtete, kann man wohl daran ermessen, dass sie ihr Arbeitsverhältnis aufkündigte, als Ende der 50er Jahre sozialistische Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft eingeführt und auch ihr geliebter Landwirtschaftsbetrieb der Zwangskollektivierung zum Opfer fiel. Ich habe noch ihre kleine, schlanke und drahtige Gestalt, ihr rotwangiges Gesicht, das schwarze zu Zöpfen geflochtene und hochgesteckte Haar vor Augen, habe noch ihre energische, durchdringende Stimme im Ohr, mit einem etwas scharfen Klang, wenn sie gegen Lüge, Ungerechtigkeit oder Faulheit vorging, die aber ebenso sanft und sogar tröstlich klingen konnte, wenn sie lobte oder Mut machte. Nach getaner Arbeit, etwa an einem Samstagabend, konnte man die Frieda nach Herzenslust singen hören.
Marianne, die Tochter des Hauses, war auf andere Art und Weise, mit natürlichem Charme und einer fröhlichen, optimistischen Wesensart ausgestattet,  eine wichtige Stütze im großen bäuerlichen Haushalt, hatte eine enge fürsorgliche Beziehung zu ihren Eltern und sorgte sich um das Wohl und Wehe des Hofes. Ganz die Tochter ihres Vaters war ihr der Stolz auf ihren Besitz wohl anzumerken. Sie genoss wohl auch eine gewisse Bevorzugung durch ihre Eltern, war intelligent, im Besitz eines Führerscheines für einen PKW. Ein Opel ist nach meiner Erinnerung auch im Dietzmannschen Besitz gewesen, musste dann aber kriegsbedingt abgegeben werden.  Aber auch sie opferte ihr persönliches Leben ihrem Hof, ihrer Arbeit in Haus und Hof, ohne an eine Heirat zu denken, sicher auch mit Rücksicht auf ihren Bruder Heinz, der von Jugend an durch seine krankhaften Jähzornanfälle zu einer großen Sorge der ganzen Familie wurde. Andererseits war Heinz ein tüchtiger Arbeiter, der seine Aufgaben, die Arbeit mit den Pferden, ruhigen braunen Kaltblutpferden, mit denen wir Kinder gern selbständig umgingen und  schmucken temperamentvollen Rappen mit Trakehnerblut, gewissenhaft erfüllte. Sein ganzes Denken und Handeln drehte sich um die Tierzucht im allgemeinen - so hatte er auch eine Vorliebe für Tauben - und natürlich besonders für seine Pferde. Wie viele Fohlen wurden unter seiner Obhut geboren !
Zum Arbeitspersonal in der Dietzmannschen Wirtschaft gehörten in dieser Zeit (1943 bis 1945 ) auch zwei sogenannte Ostarbeiter - sie hatten den Aufdruck "OST" auf ihrer Kleidung. Es waren der "große" und der "kleine" Stefan, wegen ihres Alters bzw. wegen ihrer Statur. Wie sie wirklich hießen kann ich nicht sagen. Der "große" Stefan war ein aus Weißrussland stammender, etwas rotgesichtiger, blonder stämmiger Mann, der häufig lachte. Der "kleine" Stefan stammte aus der Gegend von Kiew, hatte ein ernstes etwas blasses Gesicht, dunkles glattes Haar, war mehr in sich gekehrt, nur seine dunklen Augen offenbarten seine Stimmungslage, manchmal melancholisch, häufig ein freundliches, zuweilen ein zorniges Blitzen zeigend. Erhatte eine weiche, warme Stimme. Das Verhältnis der Familie Dietzmann zu diesen beiden tüchtigen Arbeitern war ein herzliches und ganz menschliches. Sie bewohnten eine große Kammer über dem Pferdestall. An arbeitsfreien Tagen, so an Sonntagen fand hier so manches Treffen mit anderen Fremdarbeitern von Wünschendorf und Umgebung statt, zu denen auch Polen gehörten. Der "große" Stefan spielte ein Akkordeon, ich weiß noch, es war ein rosarotes Instrument, dazu sangen die Männer und Frauen ihre ernsten und auch fröhlich-mitreißenden Lieder und tanzten auch. Für uns Kinder, die wir zuhörten und in ihren Kreis herzlich aufgenommen wurden, waren diese Feste sehr interessant.
Auch bei der Arbeit hielten wir Kinder uns gern an die Stefans, vor allem an den "kleinen". Denn er gab uns so manches Mal bereitwillig die Zügel der Pferde, wenn er auf dem Feld ackerte, Mist fuhr oder auch einmal  in Meerane oder Gößnitz mit dem Pferdewagen etwas zu besorgen hatte. Zu besonderen Anlässen, etwa, wenn am Bahnhof Gößnitz jemand abzuholen war, wurde auch der offene Kutschwagen, der Break, herausgeholt und die festlich herausgeputzten Rappstuten oder der ruhige Braune als Einspänner im schmucken, meist an Sonntagen oder ruhigen Arbeitstagen geputzten und geschmierten Kutschgeschirr davorgespannt. Dass die Pferde selbst mit Striegel und Kardätsche jeden Tag gründlich geputzt werden mussten, verstand sich von selbst.
Für die feiertäglichen Anlässe wurden auch die Hufe schwarz geschmiert. Auch ich wurde, als ich schon älter wurde - mein Bruder und ich halfen auch nach Kriegsende, als wir schon längst wieder in Leipzig wohnten, in unseren großen Schulferien noch viele Jahre Dietzmanns in der Erntezeit - in die "Kunst" der Pferdepflege eingewiesen.
Zur Schule gingen wir nach Tettau, wo Lehrer Trose, ein ruhiger, gutmütiger Mann, jeden Tag aus Meerane kommend, mehrere Klassen - ich glaube vier - in einem Zimmer gleichzeitig unterrichtete. Während wir zum Beispiel Rechenaufgaben zu erledigen hatten, befasste sich der Lehrer im Fach Deutsch oder Heimatkunde mit einer anderen Altersgruppe. Soweit ich mich erinnern kann, hat diese Schulzeit manchen Spaß aber keinen besonderen Gewinn für uns Schüler gebracht. Die Bauernkinder warfen ohnehin ihren Ranzen zu Hause in die Ecke und mussten in der Landwirtschaft zur Hand gehen. Die in dem Klassenzimmer vereinte Schülerschar war nicht nur jahrgangsmäßig, sondern auch ihrer Herkunft nach durch die Kriegswirren des zweiten Weltkrieges bunt zusammengewürfelt. Ich erinnere mich zum Beispiel an zwei Kölner Jungen, die immer zu lustigen Streichen aufgelegt waren und einmal während des Unterrichts junge Katzen unter der Bank vorholten. Auch ein Mädchen aus Hamburg besuchte unsere Klasse. Kurze Zeit hatten wir auch einmal - wahrscheinlich vertretungsweise - Schulunterricht bei dem etwas streng wirkenden Kantor Kirbach in Schönberg.
Der früher in Tettau tätige Lehrer, Kantor Mosig, hatte, weil er nicht Mitglied der NSDAP war, nur sein Kantorenamt zu verwalten. Im von ihm geleiteten Kinderchor sangen wir in der Kirche mit. Meine Mutter, die eine recht schöne Sopranstimme hatte, wurde zu besonderen Anlässen vom Kantor Mosig sogar mit solistischen Aufgaben betraut.
Als wir im Dezember 1943 nach Wünschendorf kamen, lag hier viel Schnee, was für uns Leipziger völlig ungewohnt war. Auch die darauffolgenden Winter waren kalt und schneereich. Vor Dietzmanns Gut lag eine große abhängige Wiese mit einem weidenbestandenen Bach, die sich für Skiabfahrten für Anfänger und Schlittenfahren wunderbar eignete. Liane Weber aus Wünschendorfs letztem Haus in Richtung Schönberg rodelte mit ihren Geschwistern Christa und Wolfgang und dem noch sehr kleinen Dieter und uns Leipzigern und anderen Wünschendorfern so manchen Wintertag auf diesem Hang. Von den Nachbarkindern sind mir noch Gottfried Tetzner, Dieter und Wilfried Sander und Liesbeth und Gerhard Mahn und Annelies Hertzsch in guter Erinnerung.
Einmal hatte es so stark geschneit und Verwehungen auf der Straße von Wünschendorf nach Schönberg gegeben, dass der Straßenverkehr unterbrochen war und auch unser Schulunterricht ausfiel. Viele Männer aus Wünschendorf und Umgebung mussten in tagelanger Arbeit die Straße wieder freischaufeln . Zu beiden Seiten der Straße türmten sich die Haufen aus mit den Schaufeln abgestochenen Schnee-"Würfeln".
Die Arbeit im Winter auf dem Hof bestand vor allem im Dreschen des Getreides mit Hilfe einer Dreschmaschine. Die in der Scheune "gebanselten" Getreidegarben wurden auf den Dreschtisch gegabelt, durch die Dreschmaschine befördert, wobei die Körner in Säcken aufgefangen wurden. Das anfallende Stroh wurde in einer Presse zu Ballen gepresst und in der Scheune gestapelt. Diese Arbeiten waren schwer, erforderten relativ viel Handarbeit - wie überhaupt alle Tätigkeiten auf einem Bauernhof -  und waren mit viel Staubentwicklung verbunden. Aber man kannte es nicht anders und war glücklich, wenn das Tagewerk vollbracht war.
Zu den Winterarbeiten gehörte auch das Säckeflicken. Säcke wurden ja für das Getreide, für Kartoffel u. a. in großer Zahl gebraucht. Die anfallende Spreu oder "Siede", wie sie genannt wurde, wurde in der Siedekammer über dem Schweinestall gelagert. Dort hinauf musste sie in großen Weidenkörben getragen werden. Sie wurde dann als Futter, zum Beispiel mit gehäckselten Futterrüben vermischt für die Kühe eingesetzt.
Zwischen diesen Arbeiten in der Scheune, auf dem Hof oder in der wärmeren Jahreszeit auf dem Feld musste früh und abends "beschickt" d. h. die Stallarbeiten im Kuhstall verrichtet werden: Ausmisten mit der Mistkarre, Melken, Füttern. Wieder alles mit der Hand. Hier im Kuhstall standen nach meiner Erinnerung so um die zwanzig bis fünfundzwanzig Rinder, Kühe, Kälber und Jungrinder und ein Zuchtbulle, der damals allein für das Fortpflanzungsgeschehen verantwortlich war. Wenn eine Kuh "rinderte", wurde sie auf den Hof geführt, an der Scheune angebunden, dann wurde mit einem Bullenführstab der Bulle zur Kuh geführt. Das machte, unterstützt vom Chef, Frieda Hemmann.
Die Rüben wurden in der Futterküche maschinell zerkleinert, mit der Schubkarre auf den Futtertisch gefahren. Die auf dem Feld geernteten Futterrüben wurden zunächst in einer Miete auf dem Feld gelagert, dann entsprechend dem Bedarf mit dem Pferdewagen herangefahren und durch eine Luke mit der Hand in die Futterküche gerollt.  Das Heu wurde vom Heuboden über dem Kuhstall heruntergeholt und den Kühen vorgelegt. Auch Gärfutter, Silage, wurde schon damals verfüttert. Gelagert wurde es in einem kleinen Beton-Silo.
Das Heu für die Pferde musste Heinz im Tragkorb über den Hof in den Pferdestall tragen. Seine Füße steckten in Holzpantoffeln, ein auf dem Bauernhof häufig verwendetes, billiges Schuhwerk.
Hafer für die Pferde lagerte in einer großen Futterkiste im Pferdestall. Dieser lag gegenüber dem Kuhstall neben dem großen Hoftor nach der oben erwähnten großen Wiese zu, traditionsgemäß an der äußeren Stalltür zu erkennen, deren oberer Teil aus Latten zusammengefügt ist.
Die Versorgung der vielen Zucht- und Mastschweine lag auch in den Händen von Hemmanns Frieda.
Besonders das Ausmisten an den Sonnabenden war eine schwere Arbeit: Einzelne "Rollen" aus Schweinekot und langem Stroh wurde mit einem Misthaken aus den Schweinebuchten, ziegelgemauerten, dunklen Ställen mit eingebauten, von außen zu beschickenden Trögen, auf den Misthaufen in der Mitte des Hofes gezogen. Den schweren Schweinedung auf einer Karre zu transportieren, wäre sicher zu schwer gewesen. Dabei kam insbesondere meinem Bruder und teilweise auch mir, sobald wir dazu körperlich in der Lage waren, die Aufgabe zu, die von der Frieda bis zur Stalltür gezogene Mistrolle samt Misthaken  stafettenartig zu übernehmen und auf den Misthaufen zu befördern. Die Schweine hatten während dieser samstäglichen Aktion unterdessen Freigang auf dem Hof. Friedas ermahnende und aufmunternde an uns Kinder gerichtete Rufe bei dieser Arbeit "aber drei Batzen..." habe ich noch gut im Ohr.
Als Grundfutter für die Schweine dienten Kartoffeln, die in großen Mengen im tiefen klimatisch günstigen Kartoffelkeller unter dem Scheunengebäude lagerten.
Alljährlich in den Wintermonaten wurde natürlich nach alter Bauerntradition eine "Sau" geschlachtet. Die Vorbereitungen dazu, das "Schlachtfest" , das Schlachten durch den Hausschlächter Alfred Weber aus Schönberg, die Fleischbeschau, das Wellfleischschneiden und vor allem das Wellfleischessen und später die herrliche frische Leber- und Blutwurst und noch später der ausgezeichnete geräucherte Speck und Schinken gehören zu den schönsten Erinnerungen. Der landwirtschaftliche Betrieb damaliger Prägung war ja in hohen Maße auch ein Selbstversorgerbetrieb. Auch das Brot wurde hauptsächlich selbstgebacken, in Form großer runder Brotlaibe, im großen Backofen in der Kleinen Küche auf glühenden Kohle. Am Vorabend wurde der Brotteig in einem großen Backtrog mit Sauerteig vorbereitet. Die Frieda grub zum Schluss eine Längsfurche und mehrere Querfurchen in den weichen Brotteig ein, der über Nacht in der Großen Küche in der Wärme "gehen" musste. Am nächsten Tag, unmittelbar vor dem Backen wurden die Brote geformt. Zur Lagerung dienten strohgeflochtene schüsselartige Teller. Das frischbackene Brot schmeckte köstlich, ganz besonders zur frischen Wurst, aber auch zum frischen Speckfett, das täglich aufs Brot gegessen wurde.
Mit den Broten wurden meist auch große runde Kuchen auf runden Kuchenblechen gebacken, besonders zu festlichen Anlässen, wie Kirmes oder Kirschfest oder zu den kirchlichen Festtagen. Kuchen ging eigentlich nie aus, weil der Herr des Hauses eine Vorliebe dafür hatte. Etwa einmal wöchentlich wurden Brot und Kuchen vom "Bäcken" in der Köthel neben anderen Lebensmitteln mit einem kleinen Handwagen herangeholt.
Der Speisezettel war den Bedürfnissen der schwer arbeitenden Menschen angepasst. Zum Frühstück um 7 Uhr, nach der Arbeit in den Ställen, und nachdem im Sommer der Klee oder anderes frisches Grünfutter vom Feld geholt waren, gab es Milchsuppe mit Salz, Brot, Butter und Camembert-Käse, Quark und Zuckerrübensirup. Letztere Kombination schmeckte aufs Brot vorzüglich. Der Sirup wurde ebenfalls wieder in mühevoller wie selbstverständlicher Kleinarbeit aus den betriebseigenen Zuckerrüben selbst hergestellt: Die Rüben wurden zerkleinert, gekocht, der Saft eingedickt.
7.30 Uhr ging es an die Arbeit, die schon abgesprochen war: im Winter in der Scheune, in den übrigen Jahreszeiten auf dem Feld. Dieses  - ich weiß nicht mehr die Größe, waren es etwa 50 Acker - zog sich zu beiden Seiten eines langen Feldweges hin, der links von der Straße nach Schönberg ein kleines Wegstück hinter Webers Haus begann - hier als Hohlweg auf seiner rechten Seite mit einer Reihe von köstlichen gelb-roten Knorpelkirschen bestanden -  und zunächst allmählich bergauf führte, um dann in einem steilen Wiesengrund zu enden. Bei der Heuernte hier unten konnten die Pferde nur unter Anspannung all ihrer Kräfte und mit intensivster Anfeuerung durch den Kutscher die schweren Heufuder bergauf ziehen. So manches kippte um, wenn in der Hitze des Gefechtes der Wagen eine zum Gefälle ungünstige Richtung nahm.
Um 11 Uhr - ich glaube, die Kirchenglocken von Tettau und Schönberg läuteten wochentags um diese Zeit - ging es heimwärts. Die Pferde mussten getränkt und gefüttert werden. Um 12 Uhr wurde zu Mittag gegessen. Meist war dies ein Essen mit gebratenem Fleisch und Kartoffeln mit Gemüse, gekocht von Frau Dietzmann, unterstützt von Marianne und anderen gerade zur Verfügung stehenden Hilfskräften. Es gab eigenes Schweinefleisch, "Karbonaden", Rind- und Kalbfleisch, Geflügel. Von letzterem waren eine große Hühnerschar, Enten und Gänse und Tauben vorhanden. Das von den geschlachteten Enten gewonnene Blut wurde übrigens zu einer schmackhaften Tiegelwurst verarbeitet und zu Brot - zum Abendessen - gegessen. Dazu gab es meist gekochte Apfelstückchen.
Doch zurück zum geschilderten Tagesablauf: Nach dem Mittagessen wurde eine kurze Mittagsruhe gehalten, bis pünktlich 13 Uhr Frieda Hemmann zur Fortsetzung der Arbeit rief. Heinz spannte die Pferde ein, die Feldarbeiter - auch Tagelöhner aus dem Dorf (Hugo und Franziska Weber, Helmut und Liesbeth Weber halfen als Rentner oder um sich  neben ihrer Berufstätigkeit bzw. als Hausfrau noch ein wenig dazu zuverdienen ) bestiegen den Pferdewagen und hinaus gings aufs Feld. Arbeitskräfte wurden zu damaliger Zeit meist viele gebraucht: zum Rübenverziehen, Rübenhacken, in der Ernte zum Aufstellen der Getreidepuppen, wenn das Getreide "modern" mit dem Mähbinder gemäht wurde. Manche Betriebe hatten nur einen "Ableger", der das Getreide nur schnitt; danach mussten die Garben von Hand "abgerafft" und mit Strohseilen gebunden werden. Das kam auch vor, wenn der Binder nicht funktionierte, das Bindegarn riss und die Halme ungebunden auf den Boden fielen. Auch durch Wind und Unwetter umgeknicktes "Lagergetreide" musste mit der Hand zu Garben gebunden werden.  Diese und andere Pannen bei der Getreidemahd kamen schon öfter einmal vor und waren Anlass dafür, dass man seinen Ärger lautstark von sich gab. Ehe der Binder, dieses Wunderwerk der Technik, von Mc Cormick produziert, mit 3 (!) Pferden über das Feld gezogen wurde, musste er natürlich nach einem Jahr Standzeit eingehend auf Funktionstüchtigkeit überprüft und sorgfältig abgeschmiert werden.
Welche "Erlösung" kam nach so manch harter Arbeit bei Wind und Wetter oder in brütender Hitze dann in Form des Vespers, das wir Kinder oder auch einmal der Chef selbst im großen Vesperkorb nachmittags auf das Feld trugen: Blut- oder Leberwurst- oder Fettschnitten, dazu große "Lasen" mit Malzkaffee, der den großen Durst ausgezeichnet löschte.
Wenn das Getreide zu Garben gebunden auf dem Feld lag, mussten diese alsbald zum Trocknen zu Puppen aufgestellt werden. Diese Arbeit machten wir gern; besonders die leichten  Hafergarben ließen sich gut zu Puppen aufstellen. Hier kam es nicht nur darauf an, dass schnell gearbeitet wurde, sondern die Puppen mussten vor Wind und Wetter sicher stehen. Mehrere Arbeiter nahmen die vom Binder in regelmäßigen Reihen abgelegten Garben auf und stellten sie - von links und rechts kommend - so auf, dass jeweils zwei Garben sich gegenseitig stützten. Es wurden also zunächst vier und in die Lücken noch einmal vier Garben gestellt, so dass meist acht Garben zu einer Puppe gehörten. Die größeren Korn- (Roggen-) Garben wurden zur besseren Stabilität an ihren Köpfen mit Strohseilen zusammengebunden. Wenn die Puppen schön gleichmäßig in schnurgeraden Reihen aufgestellt waren (man durfte sich ja nicht vor den Nachbarn blamieren; auch damals gab es einen Wettbewerb zwischen den Bauern, jeder schaute auf die Arbeit der anderen ), war das auch ein sehr schöner, ästhetischer Anblick, auf so manchem Künstlergemälde festgehalten und  vor dem Vergessen bewahrt. Auch beim Laden der Erntewagen und dem Einfahren des Getreides nach der Trocknung in den Puppen kam es auf ordentliche, exakte Arbeit an: Mit zweizinkigen Langgabeln "langten" die Erntearbeiter die mehr oder weiniger schweren Garben auf den Leiterwagen, auf dem ein oder zwei Personen das "Laden" zu erledigen, das heißt, die Garben in Empfang zu nehmen und geschickt und nach bestimmten Regeln zuerst im Inneren des Wagens zu verstauen und dann in hoher Schicht über den Leitern gleichmäßig so zu  laden hatten, dass ein weit über die Umrisse des Erntewagens ausladendes Getreidefuder entstand. Dabei mussten selbstverständlich die Gesetzmäßigkeiten der Statik und die Schwerpunktverteilung beachtet werden, wenn man nicht das Umkippen eines solchen Fuders riskieren wollte, was dennoch manchmal geschah. Bei Dietzmanns war für das Laden Marianne verantwortlich. Ich wurde in der Erntehilfe in den großen Ferien für diese Arbeit mit eingeteilt.
Das Einfahren war bestens organisiert: Wenn ein Fuder auf dem Feld geladen worden war, wurde es mit einem Paar Pferden in die Scheune zum Abladen gefahren. Unterdessen konnte auf dem Feld mit dem zweiten Pferdepaar das nächste Fuder geladen werden. Wenn es voll war, kam bereits das erste Pferdepaar mit einem dritten Wagen wieder aufs Feld. Der Kutscher, das war meist Heinz Dietzmann oder manchmal auch Arthur Dietzmann, übernahm das volle Fuder für die Heimfahrt. Zu Hause wurde an den inzwischen  entladenen Wagen umgespannt und im zügigen Trab ging es wieder aufs Feld. Bis in die späten Abendstunden wurde so gearbeitet, damit das kostbare Getreide unter Dach und Fach kam.
So schwer und hart die Arbeitstage auf dem Bauernhof und draußen auf dem Feld waren, es gab auch Sonntage und Feiertage, es wurden Feste gefeiert, an die ich mich gern erinnere. An den Sonntagen musste gearbeitet werden, wenn diese Arbeiten nicht aufschiebbar waren, so in der Heu- oder Getreideernte. Sonst wurde der Sonntag als Feiertag angesehen (natürlich mussten die Arbeiten für die Versorgung der Tiere getan werden). Schon am Sonnabend nachmittag wurde der Hof mit Reisigbesen gekehrt und überall Ordnung gemacht. Es kehrte eine Stille der Besinnung und Entspannung auf dem Hof ein. Wenn ein Fest, zum Beispiel während der Ernte der Süßkirschen das Kirschfest, anstand, gab es viele Vorbereitungen: Da wurden große Kirschkuchen gebacken und die Verwandten aus Tettau (Höselbarths Albert aus dem Gasthof) und die Schönberger Verwandten, ebenfalls Höselbarths, Brüder von Frau Flora Dietzmann, aber auch gute Bekannte und Arbeiter bei Dietzmanns, zum Beispiel Brüder von Hemmanns Frieda, waren eingeladen. Für diese Gelegenheiten tafelte man in der großen Stube. Daneben gab es noch eine kleine Stube. Diese Räumlichkeiten wurden sonst das ganze Jahr nicht genutzt, nur zu besonderen Anlässen, zu denen natürlich auch Weihnachten und Ostern zählte. Dadurch haftete den alten schweren Möbeln und dem Sofa ein eigentümlicher Geruch an. Auch musste zu Weihnachten erst tüchtig geheizt werden, damit es einigermaßen warm darin wurde. Uns Kinder störte das nicht, das Geheimnisvolle dieser Stube faszinierte uns.
Damit die Kirschen auch nicht zu sehr von den Staren gefressen wurden, mussten wir Kinder durch entsprechenden Lärm die Stare vertreiben, wir mussten die "Stare hüten"
In der Erinnerung könnte man diese Zeit auf dem Lande als beschaulich und wunderbar ansehen. Man vergisst dabei leicht, dass auch hier in Wünschendorf der Krieg nicht spurlos vorübergegangen ist. Einen gravierenden Einschnitt in die Geruhsamkeit des Wünschendorfer Landlebens brachten die zahlreichen Flüchtlingstrecks der vor den Russen fliehenden Ostpreußen und Schlesier, die in Sachsen eine neue Bleibe suchten. Auch Familie Dietzmann nahm eine Flüchtlingsfamilie auf: Frau Lina Pflanz mit ihren Söhnen Reinhold, einem rotblonden schmächtigen Jungen von vielleicht 14 Jahren und Günter, etwa 12, blond, stämmig. Nun wohnten viele anderssprechende Menschen in Wünschendorf und Umgebung, die neues Leben in die Dörfer brachten. Schon wir Kinder kriegten mit, dass der Krieg auf sein katastrophales Ende zusteuerte. Es wurde gefährlich, größere Strecken auf der Landstraße zu laufen, weil zunehmend mit angloamerikanischen Tieffliegerangriffen zu rechnen war. Mein Bruder und ich suchten einmal auf der Straße nach Oberwiera Schutz im Straßengraben, als Tiefflieger über uns hinwegbrausten.
In Erinnerung ist mir auch ein Bombenabwurf unweit des Ortes Wünschendorf auf freies Feld;  man konnte die durch die Detonation aufgewühlten Erdmassen durch die Luft fliegen sehen. Ein Blindgänger wurde später von Häftlingen , wie man erzählte, ausgegraben.
Auch einen Flugzeugabsturz - es handelte sich um einen Jagdflieger - in der Nähe von Koblenz haben wir erlebt. Über den Rundfunk waren die Meldungen der Bombardierung der großen deutschen Städte wie Chemnitz und Dresden zu hören, was wir Kinder auch mitbekamen. "Schwere anglo-amerikanische Bomberverbände befinden sich über Goslar-Göttingen...." war etwa zu hören. Zur Orientierung , wo sich die Flugzeuge aufhielten, dienten schematisch vereinfachte Karten, in denen die wichtigsten deutschen Städte auf konzentrischen Kreisen eingetragen waren.
Das Ende des Krieges erlebten wir in Wünschendorf etwa folgendermaßen: Ein leichtes Flugzeug, ich glaube, ein Doppeldecker, kam aus der Luft immer weiter heruntergeflogen und landete schließlich auf freiem Feld, wenige Hundert Meter von Dietzmanns Gehöft entfernt. Gleichzeitig war das Knattern von Maschinengewehren zu hören. Es wurde gesagt, dass in der unweit vom Hof gelegenen Sandgrube sich SS verschanzt hatte. Dann passierten Militärfahrzeuge die Straße. Es hieß, die weiße Fahne müsse gehisst werden. Bald darauf: Weg mit der weißen Fahne, SS kommt. Es war eine aufregende Zeit. Doch bald kehrte Ruhe ein, der Krieg war offensichtlich vorbei. Das zeigte sich auch darin, dass die amerikanischen Soldaten sich mit ihren Jeeps auf  dem umliegenden Gelände häuslich niederließen, Tennis spielten und Schokolade verteilten. Sie brachten sogar Sachen zum Waschen zu Dietzmanns. Später zogen die Amerikaner ab und hinterließen sehr großzügig Fahrzeuge, Waffen, Munition.
Nun waren auch die Ostarbeiter frei und es waren große Bewegungen von Menschen zu beobachten, Juden und Gefangene der Nazis, die nun auf freiem Fuß waren. Ein Erlebnis ist mir in schrecklicher Erinnerung, als der "große" Stefan stark angetrunken im Trubel des Umsturzes auf dem Hof erschien und nach Heinz Dietzmann suchte, der ihn früher manchmal etwas schikaniert hatte. Er wollte sich dafür an ihm rächen. Alle Zimmer des Dietzmannschen Wohnhauses wurden durchsucht und zum Teil verwüstet. Auch in unser Zimmer drang er ein, erblickte meine Mutter und uns zwei Kinder und verließ uns wieder, sich entschuldigend und beteuernd, dass wir uns vor ihm nicht zu fürchten brauchten, dass er nur Heinz suche. Der hatte sich aber sicher versteckt. Was aus ihm und auch dem "kleinen" Stefan geworden ist, weiß ich nicht; ich hörte aber, dass der große Stefan von seinen Leuten erschossen worden sei. Es ist ja bekannt, dass die sowjetischen Ostarbeiter unter Stalin als "deutsche Kollaborateure" großen Repressalien ausgesetzt waren und auch mit dem Tode rechnen mussten.
In Meerane gab es ein großes Lager, angefüllt mit Stoffen und Bekleidung für die deutsche Marine, das für die Bevölkerung freigegeben wurde. Am Tor standen amerikanische, zum Teil afroamerikanische (wir sahen diese damals zum ersten Mal) Wachposten, die das wilde Plündern des Lagers etwas unter Kontrolle halten sollten. Pferdewagenweise wurden Stiefel, Socken, Stoffballen für blaue Marineuniformen und andere Kleidungsstücke "gehamstert". Man konnte viele Leute, sogar Kinder in den Stiefeln laufen sehen, auch wenn sie zu groß waren. Wir bekamen marineblaue Anzüge geschneidert. Zu kaufen gab es ja nichts.
Im Sommer des Jahres 1945, ich glaube, es war im Juli, erkrankten mein Bruder und ich an Scharlach und wurden in das Hilfskrankenhaus Meerane eingewiesen. Ich erinnere mich, dass man vom Krankenzimmer aus auf ein Schienennetz der Eisenbahn blicken und viele Menschentransporte beobachten konnte.
Für meine Mutter und uns Kinder kam nach unserer Genesung und Entlassung aus dem Krankenhaus bald die Heimkehr nach Leipzig. Kurt Schmidt aus Wünschendorf, der ein kleines Transportunternehmen betrieb, fuhr uns mit unseren wenigen Habseligkeiten am 4. August 1945 wieder in unsere alte Wohnung, die inzwischen von einem alten Ehepaar bewohnt worden war.
Die kommenden schweren Nachkriegsjahre waren geprägt von Hunger und Not, mein Vater war noch in französischer Kriegsgefangenschaft und kam erst im März 1947 zu uns nach Hause zurück.
1946 wurde der Schulbetrieb wieder eröffnet. In den großen Ferien fuhren mein Bruder und ich viele Jahre regelmäßig zur Erntehilfe nach Wünschendorf. Mit dem Personenzug ging es bis Gößnitz. Von hier aus legten wir den Weg nach Wünschendorf meistens zu Fuß zurück. Durch diesen Landaufenthalt war - wenn die Arbeit auch nicht leicht war -  für einige Wochen unsere Ernährung gesichert und wir verdienten uns nebenbei noch ein gutes Taschengeld.
Erst als ich 1954 mein Studium der Veterinärmedizin in Leipzig aufnahm - die Anregung dazu gab mir unsere Zeit in Wünschendorf - wurde die Beziehung zu diesem Ort und der Familie Dietzmann allmählich lockerer. Im Sommer 1962 habe ich Dietzmanns nach meiner Erinnerung letztmalig besucht. Bald starben Arthur Dietzmann und seine Frau und auch Marianne, ein immer freundlicher, optimistischer Mensch mit einem großen Gottvertrauen erlag in relativ jungen Jahren einem Krebsleiden. Heinz ging wohl - nun ganz auf sich gestellt - in ein Heim. Was aus ihm geworden ist kann ich nicht sagen.
Die Ruhestätte der Familie Dietzmann liegt schattig unter Bäumen an der Friedhofsmauer des Tettauer Friedhofes. Ihr einstmals prächtiger Hof dient heute einem guten sozialen Zweck: der Unterkunft und der Lebensgestaltung schwer erziehbarer junger Menschen.